Energiewende auf dem Wasser – FH Kiel entwickelt und erprobt Modell eines Wellenkraftwerks
Während Wind und Sonne als Lieferanten grüner Energie längst etabliert sind, bleiben Potenzial und Kraft der Wellen bislang weitgehend ungenutzt. Eine Forschungsgruppe der Fachhochschule Kiel möchte dies ändern. Aktuell finden Laboruntersuchungen an Modellen eines Wellenkraftwerks statt. Ein Prototyp soll im kommenden Jahr in der Nordsee getestet werden. Gefördert wird das Forschungs- und Entwicklungsprojekt vom Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein mit Mitteln der Europäischen Union.
Das Energiepotenzial der Wellen in Nord- und Ostsee ist – verglichen mit anderen Regionen – eher gering. Auch deshalb lag der Fokus auf erneuerbaren Energien hierzulande vor allem auf Solar- und Windenergie. Außerdem sind für die Entwicklung von Wellenkraftwerken unterschiedliche Ingenieursdisziplinen aus dem Maschinenbau, der Elektrotechnik, dem Schiffbau und nicht zuletzt der Offshore-Anlagentechnik erforderlich, sie muss also interdisziplinär erfolgen. Darüber hinaus sind die Anforderungen an die Technologie hoch: Die Umgebungsbedingungen auf hoher See sind extrem, die Anlagen müssen robust, langlebig und wartungsarm sein. Genau dies hat Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Christian Keindorf im Rahmen seines Forschungsprojekts berücksichtigt. „Sie können sich die Wirkungsweise unseres Wellenkraftwerks folgendermaßen vorstellen. Wenn Sie mit einem Schwimmreifen ins Meer gehen und es kommen Wellen, dann bewegt sich der Schwimmreifen auf und ab. Im Prinzip funktioniert unsere Anlage ganz ähnlich. Ein Schwimmkörper wird auf und ab bewegt, die kinetische Energie nutzen wir, um eine Relativbewegung zwischen dem Schwimmkörper und einer Stabboje hervorzurufen. Die Stabboje enthält einen Linear-Generator, der durch die Auf- und Abwärtsbewegung der Wellen durch ein Magnetfeld bewegt wird und somit elektrische Energie erzeugt“, erklärt Prof. Keindorf.
Das Wellenkraftwerk ist letztendlich eine Art hüpfende Boje, die – im Unterschied zu Windkraftwerken – kaum zu sehen ist. Bei ihrer Entwicklung haben Keindorf und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Andreas Glaß hohe Maßstäbe an Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch gesetzt. Sie nutzen vorwiegend recycelbares Material, die Magneten sollen für eine mögliche Wiederverwendung aufbereitet werden können. Und nicht nur optisch soll das Kraftwerk so wenig wie möglich in das Ökosystem Meer eingreifen, erklärt Glaß: „Das Kraftwerk schwimmt an der Wasseroberfläche und muss nicht aufwändig über Rammpfähle im Meeresboden verankert werden. Wir nutzen Betonklötze mit Ankerketten, die nach der Testphase vollständig geborgen werden können. Der Footprint auf dem Meeresboden ist minimal, es findet keine Flächenversiegelung statt. Außerdem wird der Betrieb des Wellenkraftwerks auf der Wasseroberfläche kaum störende Effekte für die Meeresfauna und -flora haben. Im Gegenteil, wir erwarten sogar, dass manche Vögel das Wellenkraftwerk als kurzen Rastplatz nutzen werden. Es gibt keine rotierenden Bauteile im Außenbereich, sodass keine großen Schallemissionen zu erwarten sind.“
Aktuell untersucht das Team im Labor die hydrodynamischen Eigenschaften des Wellenkraftwerks, also wie sich das Kraftwerk im Seegang verhält. „Man spricht auch von Fluid-Struktur-Interaktion, die wir konkret für diese Anlagenkonstruktion erforschen wollen, um bessere Vorhersagen für die Betriebsphase treffen zu können. Wir messen dafür die Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung in Abhängigkeit von der Zeit. Im weiteren Verlauf messen wir die elektrotechnischen Parameter, wie Spannung und Stromstärke, um die elektrische Leistung des Generators optimieren zu können“, erklärt Keindorf.
Der nächste Meilenstein des Projekts wird die Verankerung eines Prototypens in der Nordsee sein. Dafür soll das Labormodell hochskaliert und für den realen Offshore-Einsatz fit gemacht werden. Der Prototyp soll in Schleswig-Holstein gefertigt, anschließend zur Forschungsplattform FINO3 geschleppt und in dessen Nähe verankert werden. Die Forschungsplattform FINO3 befindet sich nördlich von Sylt und wird von der Forschungs- und Entwicklungszentrum FH Kiel GmbH betrieben. Forschende verschiedener deutscher Hochschulen nutzen FINO3 seit mehr als zehn Jahren für ihre maritimen Forschungsprojekte.
Erste Einsatzmöglichkeiten für das Wellenkraftwerk sieht Keindorf in der elektrischen Versorgung von natürlichen und künstlichen Inseln oder von Offshore-Aqua-Farmen. Würden die Wellenkraftwerke später selbst in Farmen installiert, wäre auch ein Transport des grünen Stroms ans Festland denkbar. Belastbare Aussagen über die Kosten während des Betriebs können noch nicht getroffen werden. Deshalb sind auch noch keine Statistiken für die sogenannten Levelized Cost of Energy (LCE) über die gesamte Lebensdauer von Wellenkraftwerken verfügbar. Diese Art von regenerativer Energieanlage muss erst noch weiter erforscht werden.
Autorin: Frauke Schäfer, Pressesprecherin der Fachhochschule Kiel